Der Götterliebling
Der 12-jährige Felix Mendelssohn, ein Schüler und Lausejunge mit anspruchsvollem Bildungspensum. Karl Joseph Begas, Felix Mendelssohn Bartholdy, 1821, © bpk / Foto: Lutz Braun
Seine siebenjährige Schwester schreibt 1812 an Freunde in Hamburg über ihren dreijährigen Bruder: „Felix hat eine starke Stimme und singt den ganzen Tag“. Von dort, wo sie und Felix geboren wurden, ist die Familie 1811 in ihre Ursprungsstadt an die Spree zurückgezogen. Der Stammhalter Abraham und Lea Mendelssohns besucht Dr. Messows Elementarschule im Quartier am Gendarmenmarkt, später folgt ein breitgefächerter Hauslehrereinsatz: das klassische Bildungsprogramm, Zeichen- und Sportunterricht, Geigen- und Klavierlektionen, Kompositionskunde beim Direktor der Sing-Akademie.
Nach dem Umzug in das Haus der Großmutter Bella Salomon am Hackeschen Markt entwickeln sich dort die Sonntagsmusiken im Bekanntenkreis zur Präsentation der Wunderkinder Fanny und Felix; begleitet von Instrumentalisten, die der Vater bezahlt.
Felix schreibt Spottballaden im antiken Versmaß, er komponiert private Singspiele, Sinfonien und Kammermusik. Eine Vorführung des kleinen Genies bei der Kultur-Instanz Goethe in Weimar und bei dem großen Komponisten Cherubini in Paris bestätigt den Eindruck seiner Eltern, dieses Talent müsse auf jeden Fall Künstler werden, am besten Opernstarkomponist. Nach dem Umzug ins neuerworbene Recksche Palais erstrahlen die Sonntagsmusiken im großen Gartensaal an der Leipziger Straße 3 als gesellschaftliche Events der Mendelssohn Bartholdys (so heißt die mittlerweile zum evangelischen Glauben konvertierte Familie). Hier liefert Felix, mit der im märchenhaften Park des Anwesens komponierten „Sommernachtstraum“-Ouverture, sein erstes Meisterstück. Seine erste (und letzte) Oper „Die Hochzeit des Camacho“ wird zum Publikumsflop, seine Aufführung der nahezu vergessenen Matthäus-Passion dagegen ein Ereignis, zur Initialzündung für die Bach-Renaissance. Seine erste Englandreise 1829 gerät zur ersten Abnabelung von der geliebten Familie, und zum Triumph; seine große europäische Bildungsreise 1830/31 dient der Zukunfts-Orientierung.
Dass die Sing-Akademie zu Berlin nach dem Tod ihres Leiters Carl Friedrich Zelter dessen Schüler, das vitale Genie jüdischer Herkunft, nicht zum Direktor wählt, interpretiert die Familie Mendelssohn als persönliche Ablehnung; Felix` Abneigung gegen seine Heimatstadt wächst. Am Theater in Düsseldorf und am Leipziger Gewandhaus steht der Dirigent dann aber auf eigenen Direktorenfüßen. Seine soziale Kompetenz macht den Götterliebling zum Sympathieträger.
Felix Mendelssohn Bartholdys sozial engagierte, kommunikative Persönlichkeit, seine Reise- und Bildungs-Erfahrungen spiegeln sich in der Vielfalt des mit 38 Jahren vollendeten Lebenswerkes. Von seinen Jugendsinfonien und der Kammermusik über Orchesterstücke und Oratorien bis zum reichen Lied-Ouevre, dem Orgel-und Klavierwerk der Fugen und subtilen Miniaturen („Lieder ohne Worte“) entwickelt er seinen romantischen Kosmos, 750 Kompositionen, in souveräner Auseinandersetzung mit großen Vorgängern. Für jedes Genre, außer der Oper, hinterläßt er Meisterwerke und Spielplan-Hits: Theatermusik zum „Sommernachtstraum“, seine Italienische und die Schottische Sinfonie, das Oratorium „Elias“, sein Oktett, Streichquartette, das Violinkonzert Nr. 2 und Chor-Dauerbrenner wie die Eichendorff-Vertonung „Abschied vom Walde“. Er inspiriert die meisten Vokalensembles; der MGV Mendelssohn Bartholdy Montabaur wird ihn 1855, angeregt durch die beim Mendelssohn-Gut Horchheim ansässigen Dernbacher Schwestern, zum Namenspatron wählen. Zehnmal bereist er England, wo ihn die Queen empfängt; wo seine Spitzen-Popularität den Heimat-Ruhm noch übertrifft. Wegweisend ist er als Neuinterpret Bachs und Händels, stilbildend als erster Dirigent im heutigen Sinne.
Als Leipzigs Gewandhausdirektor gründet er, ein Pionier der Musikerausbildung, das erste deutsche Conservatorium (1843). In Berlin scheitern seine Reformen für die Akademie der Künste und den Domchor, die er als Preußischer Generalmusikdirektor plant, an der Kulturpolitik (1842). Entstanden ist seine von den Nachgeborenen oft sentimental missdeutete Musik aus einer kämpferisch-ernsten Kunst-Liebe, gegen den Trend – wie aus seiner Kritik am Opern-Erfolg des anderen Berliner Stars, Giacomo Meyerbeer, herauszuhören ist: „Es hat Effekt gemacht, aber ich habe keine Musik dafür. Denn es ist gemein, und wenn das heut die Zeit verlangte, und nothwendig fände, so will ich Kirchenmusik schreiben“ (1831).
»Res Severa Verum Gaudium«
(Die ernsten Dinge sind das wahre Vergnügen).
Diesen Wahlspruch, angebracht an der Stirnseite des Leipziger Konzertsaales, hat Felix Mendelssohn Bartholdy zu seinem Motto gemacht.
Nach dem Tod seines mit Anhänglichkeit verehrten Vaters (1835) traut er sich zu heiraten. Seine Frau Cécile Jeanrenaud stammt aus einer Frankfurter Hugenotten-Familie. Er ist nun auch selbst engagierter Vater mit einem enormen Arbeitspensum, schreibt über 5000 Briefe in seinem Leben; zerreißt sich im nochmaligen Hin und Her zwischen Leipzig und Berlin, Komponieren, Institutionsleitung, Häuslichkeit und Erholungs- oder Arbeitsreisen. Er wird, besonders in England, zum berühmtesten Tonsetzer seiner Zeit, findet in respektvoller Auseinandersetzung mit Bach und Beethoven seinen eigenen Stil in allen Genres außer dem Musiktheater. Noch Generationen später sollen Nachgeborene aufgrund antijüdischer Polemik den Diffamierten als leichtgewichtigen Glückspilz unterschätzen; Verehrung und Zuneigung seiner Zeitgenossen wird postum in Ignoranz gegenüber großen Teilen seines Lebenswerkes umschlagen, beeinflusst durch Richard Wagners langfristig wirksames Pamphlet „Das Judentum und die Musik“. Doch „Wen die Götter lieben, der stirbt als Jüngling“: Der dramatische Tod des 38jährigen, ein halbes Jahr nach dem Verlust der geliebten Schwester, verklärt seine Biographie zur romantischen Kometenbahn.
Copyright
Die Musiktage Mondsee bedanken sich bei der Mendelssohn Gesellschaft Berlin, für die Nutzung der Texte und Bilder.